Angst by Robert Harris

Angst by Robert Harris

Autor:Robert Harris
Format: epub, mobi
Herausgeber: Heyne
veröffentlicht: 2011-10-05T00:00:00+00:00


Elf

[…] der meistens ununterbrochen-fortdauernde Kampf [ums Daseyn] wird der heftigste seyn, der zwischen den Einzelwesen einer Art stattfindet, welche dieselben Bezirke bewohnen, dasselbe Futter verlangen und denselben Gefahren ausgesetzt sind.

Charles Darwin

Die Entstehung der Arten, 1859

Der Gehweg unter der Linde auf der anderen Seite der breiten Straße war leer. Hoffmann blieb zwischen den Koffern gerade eintreffender Gäste stehen, sah sich nach allen Seiten um und fluchte dann. Der Portier fragte, ob er ihm ein Taxi rufen solle. Hoffmann ließ ihn einfach stehen und ging an der Vorderseite des Hotels entlang bis zur nächsten Straßenecke. Geradeaus sah er ein Schild mit der Aufschrift HSBC Private Bank, links zweigte eine schmale Einbahnstraße ab, die Rue Docteur-Alfred-Vincent, die an der Seite des Hotels entlangführte. Da ihm nichts Besseres einfiel, bog er in die Straße ein und ging dort an einem Baugerüst, einer Reihe geparkter Motorräder und einer kleinen Kirche vorbei. Nach fünfzig Metern kam er zu einer Querstraße und blieb wieder stehen.

Eine Häuserzeile weiter sah er eine Gestalt in einem braunen Mantel die Fahrbahn überqueren. Als der Mann die andere Straßenseite erreicht hatte, drehte er sich um und schaute in Hoffmanns Richtung. Das war er, kein Zweifel. Ein weißer Lieferwagen, der in eine Seitenstraße einbog, versperrte Hoffmann kurz die Sicht. Danach war der Mann verschwunden.

Hoffmann lief los. Die Energie des Gerechten durchflutete ihn und trieb ihn mit langen, schnellen Schritten vorwärts. Er lief zu der Stelle, wo er den Mann zuletzt gesehen hatte. Wieder eine Einbahnstraße, wieder war er verschwunden. Er lief bis zur nächsten Kreuzung. Die schmalen Straßen lagen ruhig da. Kaum Verkehr, jede Menge parkende Autos, überall kleine Läden – ein Friseur, eine Apotheke, eine Bar. Die Leute erledigten ihre Mittagseinkäufe. Er schaute sich verzweifelt um, wandte sich nach rechts, lief, wandte sich wieder nach rechts und irrte durch das labyrinthische Gewirr schmaler Einbahnstraßen weiter. Er wollte nicht aufgeben, musste sich schließlich aber doch eingestehen, dass er den Mann verloren hatte. Die Straßen veränderten sich. Zunächst fiel ihm das nur beiläufig auf. Die Häuser wurden schäbiger, baufälliger. Manche waren mit Graffiti besprüht. Und plötzlich befand er sich in einer anderen Stadt. Eine halbwüchsige Schwarze in engem Pullover und weißem Microrock aus Kunstfaser rief ihm von der anderen Straßenseite etwas zu. Sie stand vor einem Laden mit einer lila Neonreklame: VIDEO CLUB XXX. Vor ihr marschierten drei weitere Prostituierte, alle schwarz, am Bordstein auf und ab, während ihre Zuhälter rauchend in den Türeingängen standen oder die Frauen von der Straßenecke aus im Auge behielten: junge, kleine, schmale Männer mit olivfarbener Haut und kurz geschorenem schwarzem Haar – Nordafrikaner, vielleicht Albaner.

Hoffmann ging langsamer, um sich zu orientieren. Er musste fast bis zum Bahnhof Cornavin gelaufen und so in das Genfer Rotlichtviertel geraten sein. Vor einem verrammelten Nachtclub – Le Black Kat (XXX, FILME, MÄDCHEN, SEX) – blieb er stehen. Die Anschlagbretter vor dem Club waren mit abblätternden Plakaten überzogen. Er spürte einen stechenden Schmerz in der Seite. Die Hände in die Hüften gestemmt, stand er vornübergebeugt am Rinnstein und rang um Atem. Keine drei



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